Rainer Nägele: Darstellbarkeit. Das Erscheinen des Verschwindens
Von Darstellbarkeit ist die Rede. Das Suffix -bar, das Potentialität, Möglichkeit, Vermögen verspricht, spricht gleichzeitig auch schon eine Leere, eine Blöße, eine Nacktheit aus. Wo von Darstellbarkeit die Rede ist, ist immer auch schon eine Barriere angezeigt, eine Grenze, die Halt! sagt, ohne Halt zu geben. So sind diese Texte Grenzgänge, barfüßig auf unsicherem Boden, wo jederzeit ein Abgrund sich auftun kann, barhäuptig, unter Undenkbarem wandelnd, wie Hölderlin schreibt, und doch dem Denken verschrieben, so weit es geht – bis da, wo an der Grenze, an der Barriere nichts mehr geht. Darstellen will und soll der Mensch gerade das, was er nicht vorstellen kann, heißt es kategorisch bei Friedrich Schlegel. Darstellen wäre dann ein Gang ins Unvorstellbare, nicht, wie es weit verbreitete Meinung ist, das Hinausstellen einer vorher gegebenen (inneren) Vorstellung. Je mehr die Darstellung, die künstlerische Darstellung vor allem, aber keineswegs nur sie, auf das unfassbare und unvorstellbare «Ding» zielt statt auf die Vorstellung vom Ding, je mehr sie das, was Freud Sachvorstellungen nennt, hinter sich lässt, sie ausspart und auflöst, desto stärker wird der Sog der Leere in ihr. Es ist aber die Leere, von der hier die Rede ist, das Inhaltlose, Inhalt-bare nicht einfach nichts. Etwas ist ausgespart, verschwunden, verloren, das die Darstellung wiederfinden will, ohne es je besessen zu haben und ohne es je zu besitzen. Es ist eine Ellipse besonderer Art, von der Paul Celan in seinen Notizen zum Meridian bemerkt: Es gibt also eine Ellipse, die man nicht als Tropus oder gar stilistisches Raffinement missverstehen darf. Der Gott des Gedichts ist unstreitig ein deus absconditus.
22 x 14 cm, 178 Seiten
Euro 19.- / sFr. 36.-